Protest gehört unverbrüchlich zur Kultur der Demokratie.

Das ist Fakt.

Die Interessen der Landwirte zu wahren, ist deren legitimes Recht. Die geplanten Einschnitte der Bundesregierung in Art und Weise sowie ihrer Kurzfristigkeit zu hinterfragen, ist ebenso legitim. Dennoch sollte man auch im Protest Verhältnismäßigkeit bewahren. Das man bei Ankündigung nicht sicher wissen kann, ob Schüler in die Schule kommen, ein Landratsamt wirklich funktioniert oder andere, lebenswichtige Dinge wirklich gesichert sind, sehe ich kritisch. Und zu Teilen ist dies im Land ja auch so gewesen. Wenngleich die Proteste der wirklichen Bauern friedlich um umsichtig abliefen. Danke dafür. Doch das war und ist nicht alles. Wie zu befürchten stand, wurde der Protest der Bauern auch zu einem Auflauf rechter Kräfte. Auch – und das ist wichtig – gegen den Willen der eigentlichen Veranstalter.

Dass was sich auf dem Trittbrett da zusammenfand, hatte  nichts mehr mit den Demonstrationen gegen Agrarsubventionen und Hilfen zu tun. Denen man – ich sag es nochmal – grundsätzlich zustimmen muss. Schon, weil das Versammlungsrecht ein hohes Gut ist und geschützt werden muss. Ob Verhältnismäßigkeit der Sache und Inhalt an sich die rechtfertigt, ist nur die zweite Frage. Und über diese kann man eben auch anderer Meinung sein. Das nennt sich Demokratie.

Doch der Protest der Bauern wurde an vielen Stellen geentert. Vor allem in Dresden zu besichtigen, stellten sich vorn dran bekannte rechte Größen.  Und man kann es eigentlich nur mit einer Satire beantworten, was dort an radikalen Parolen zum Tragen kam. Denn es entgeistigt sich gerade einiges. Und das ist gefährlich. Denn unsere gesellschaftlichen Werte, erkämpft von Generationen,  drohen keine mehr zu sein. Hier ging es um Umsturzfantasien, wie sie auch dieser Tage durchs Netz wabern. Und die den  friedlichen Protest nunmehr überlagern. Wie ein seltsam befreiender Suizidgedanke. Ein Bauernkrieg „Zwonull“ wird heraufbeschworen. Gegen diese Ampel! Gegen das System! Endlich! Frei!

Aber mal ehrlich? Welche Freiheit fehlt denn?

Ihr habt die Freiheit, alles Mögliche zu sagen und zu tun. Selbst solcher Unfug wie jenes Umsturzfieber dieser Tage bleibt ungestraft. Man möge sich an Zeiten erinnern, auf die jetzt gerne verwiesen wird, wenn man beklagt, man könne ja nichts mehr sagen hier und heute. So wie damals, vor 1989. Wirklich? In jenen Zeiten, wäre schon das bloße Formulieren dieses Makels haftbewährt gewesen. Aber gut, man kann das ja alles vergessen, wenn es ins Bild passt. Vorzugsweise in das Eigene.

Ihr habt die Freiheit, alles zu glauben, was ihr wollt. Auch das ist viel mehr als nichts. Ob Oligarchenpropaganda, Reichelts Märchenkanal, Freie Sachsen Hetze. Bevorzugt blauen Dunst. Egal. Ihr dürft sogar Extreme wählen, die unsere Verfassung kippen und den Sozialstaat schleifen wollen. Die als gesichert rechtsextrem eingestuft sind. Weil letzteres ja dieser komische Verfassungsschutz getan hat. Der zwar die Verfassung schützen soll. Aber – so what! Wer braucht die schon, wenn es um Wut geht? Ihr habt die Freiheit, den Planeten hinzurichten und den kommenden Generationen im Wortsinn verbrannte Erde zu hinterlassen. Und ihr könnt dabei sogar so tun, als wäre Wissenschaft Schall und Rauch und Telegramm der Sprachkanal der Leopoldina. Ihr habt die Freiheit, das Land wieder einzuzäunen. Wobei diesmal der Stacheldraht nach außen zeigen soll. Dahinter werden wir dann zwar langsam aussterben und unsere Betriebe morbide herunterfahren, weil Hände fehlen, die viele Arbeit zu tun. Was schließlich wirklich Wohlstand kosten wird. Unseren Wohlstand, der groß, robust und alles andere als selbstverständlich ist. Unseren Wohlstand, für den jede Generation arbeiten musste – und das auch getan hat. Aber wir nehmen uns die Freiheit, dies als Standard einzufordern, und beim seltsam herbeigesehnten Untergang sortenrein zu bleiben.

Wir haben die Freiheit, Silvester die Hunderter wegzuballern, als gäbe es kein Morgen. Wenn das Mehl aber einen Cent teurer wird, rufen wir auf die Barrikaden. Wir haben die Freiheit, uns im Discounter zu begeistern, wenn Lebensmittel billig sind. Wie diese Tiefpreise zustande kommen, wissen wir. Doch ist dieses Wissen im Sparkaufmoment der Landwirt so fern wie die Moral.

Stimmt alles nicht? Na dann treckern wir halt jetzt mal alles zu, Generalstreik, Stillstand – endlich! Wenn aber die kommenden Generationen sich festkleben, weil sie eine Zukunft wollen, die wir ihnen gerade zu vermasseln drohen. Wenn sie protestieren, weil wir Realität verdrängen und nicht zuhören. Dann reden wir diese in Sack und Asche. Werfen Schülern – unseren Kindern –, die sich engagieren, so lustige Sachen vor wie „geht erstmal richtig arbeiten“. Verwöhnte Generation! Leistet erstmal was!

Würde dies stimmen – was ich definitiv ins Reich der Stammtische verweise – und wäre diese letzte Generation wirklich so missraten: Wer hätte denn die kleinen Systemsprenger zu solch Verwöhnbratzen erzogen?

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es ist nicht alles gut. Nein. Im Gehenteil. Beinahe nichts, was wir nicht besser machen können und müssen. Und die Einschnitte, die es nun geben wird sind schmerzlich. Die Art und Weise deren Umsetzung grenzwertig. Mindestens. Doch Veränderung ist nötig. Weil sich immer alles bewegt. Und manchmal mehr. Und weil Möglichkeiten begrenzt sind, mus manchmal auch verändert werden, woran man sich gewöhnt hat. Doch dies betrifft uns alle. Wir müssen vieles gerade bewältigen. Mussten aber Generationen vor uns auch. Und das dies herausfordernd ist, ist unbestritten. Und ja, wir machen dabei Fehler. Zuwanderung muss gesteuert werden, die Energiewende braucht finanzielle Unterstützung und Justierung. Die Bildung muss mehr Kraft bekommen, als sie gerade hat. Wir müssen uns neu erfinden und dies in kurzer Zeit. Und, und, und… Alles richtig. Alles wahr. Dennoch geht das alles nicht, wenn wir Demokratie, die Verfasstheit des Staates und unsere Regeln und Werte mit Füssen treten. Wenn nur noch gebrüllt wird. Gegen und für alles. Wenn wir verantwortungslos agieren und alles von uns weisen. Zu irgendwem, einer imaginären Verheißung, die alles richtet.

Aber das hatten wir schonmal. Es wirkte am Ende weltweit und war alles andere kein Erfolgsmodell.

Der Treibstoff der Demokratie ist der gute Kompromiss. Der Klebstoff der Gesellschaft ist die Demokratie. Wir haben keine Zukunft, wenn jeder 100% fordert und nicht bereit ist, sich mit anderen zu verständigen. Wir werden den Diskurs endgültig beerdigen, wenn Wahrheit, Grundwerte und Klarheit dem Ichglauben des Einzelnen opfern. Stirbt aber die Debatte, sterben Zuversicht und Kompromiss, zerfällt das Land.

Aber keine Sorge. Denn es gibt sie, die guten Nachrichten. Und diese lauten:

1. Der Umsturz findet nicht statt, denn die Mehrheiten liegen anders, als es im Getöse erscheint.

2. Wir werden diese Herausforderungen meistern. Vorausgesetzt wir bleiben zusammen und finden zurück zu Regeln und Werten, die Generationen vor uns teils mutig und blutig erstritten haben, denn

3. wir sind stark und haben bewiesen, dass wir Veränderung, Aufbruch und Entwicklung meistern können. Besser als die meisten Anderen.

Achja, zur Erinnerung. Wir leben bereits in einer freiheitlichen Grundordnung und sollten diese eher verteidigen und mit Leben füllen, statt sie kleinzureden. Und dieses braucht uns. Nimmt uns in die Pflicht. Statt alles und jedes Thema anderen zur Lösung zu delegieren, Verantwortung von uns zu weisen oder dieses gesamte System ins Jammertal zu tragen. 

Denn das ist so sinnvoll wie Selbstmord aus Angst vor dem Tod.