Seit Monaten hetzen die Freien Sachsen, die AfD und andere verstärkt gegen Migrantinnen und Migranten. Das Muster ist immer dasselbe. Populismus, bewusst gestreute falsche Zusammenhänge und FakeNews befeuern Wut. Mal wird behauptet, im Kreistag würde widerrechtlich nichtöffentlich beschliessen, dass Wohnungen für Migranten angekauft werden. Mal geht es gegen unbegleitete Jugendliche, die im Kreis untergebracht werden. Die Flut der Desinformation ist gewaltig. Wut und Angst werden geschürt. Und statt dem mit klaren Fakten und klarer Haltung zu begegnen, werden Ablehnung und Vorurteile noch verstärkt. Schweigen ist Standard. Themenübernahme und verschwimmende Grenzen zwischen Lagern, wo eigentlich feste Linien sein sollten, werden Realität. Das demokratische Parteiensystem beginnt, Positionen der selbsternannten Alternative zu übernehmen. In der Hoffnung, diese Positionen in Wählergunst wandeln zu können. Der Abschied von Menschlichkeit und Grundwerten unserer Verfassung ist der Preis. Es ist nichtmehr die Radikalisierung der Extremen, die mir Sorge bereitet. Damit kann man inzwischen leider umgehen. Es ist die schleichende Normalisierung von Positionen, die vor nicht allzu langer Zeit tabu waren. Und dies zu Recht. 

Wer darauf hinweist, dass dies alles nicht förderlich ist in Zeiten, in denen wir auch auf ausländische Arbeitskräfte und Fachkräfte angewiesen sind, wird – wie in meinem Fall – von der CDU im Kreistag gegeißelt dafür. Als der Landrat, der seinen Kreis schlecht reden würde. Und das ist noch nicht alles. Als vorläufiger Höhepunkt wurde in derselben Sitzung – auf AfD-Antrag sogar in namentlicher Abstimmung – mit den Stimmen von weiten Teilen der Anwesenden der CDU und der Freien Wähler – ein Kreistagsbeschluss verwehrt, der der Verwaltung eine notwendige Aufstockung des Budgets für die Unterbringung Geflüchteter erlaubt hätte. Ein reiner Haushaltsbeschluss für die Erfüllung einer vom Bund an uns übertragenen Pflichtaufgabe wohlgemerkt. Dessen Ablehnung an der Sache an sich nichts ändert. Selbst wenn man ihn wegstimmt. Durch die Ablehnung nehmen wir nicht einen Geflüchteten weniger auf, denn darüber hat kein Kreistag zu befinden. Was die Abstimmenden sehr wohl wussten. Doch darum ging es offensichtlich nicht. Ein Zeichen nach Berlin wolle man senden, hieß es. Und da stimmt man schonmal im Schulterschluss mit Rechts. Die wahrscheinliche Folge? Eine Sondersitzung des Kreistages, die das Thema noch einmal behandelt, eine Menge Geld kostet und die der AfD und ihre Agenda eine weitere Bühne einräumen wird. Danach bei erneuter Ablehnung die Ersetzung des Beschlusses durch die Landesdirektion. Denn Pflichtaufgaben können wir neunmal nicht wegstimmen. Die Folge: Das falscheste Signal an die Bevölkerung, das man sich denken kann. Nämlich der Eindruck, dass der Kreistag nichts zu sagen habe. Und: Das ebenso klare Signal, dass Migration nunmehr öffentlich zum Sturm freigegeben ist. 

Das alles gehört zusammen. Das alles bedingt einander. Die jahrelange Verrohung der Debatte hat dazu geführt, dass diese quasi schleichend gestorben ist. Die dazugehörige Verkürzung von Sachverhalten auf zumeist mindestens missverständliche Aussagen, tut ihren Rest. Und wenn wir jetzt nicht endlich gegensteuern. Wenn wir nicht endlich uns zurückbesinnen auf unsere Grundwerte des Miteinanders. Auf Menschlichkeit, Solidarität und Zusammenhalt. Dann werden wir in diesen beladenen Zeiten scheitern. Mut und Zuversicht. Selbstvertrauen und Offenheit für neue, gemeinsame Wege. Das sind die Schlüssel der Zukunft. Nicht Hass, Hetze, Egoismus und Abwehr jeglicher Veränderung. Und auch kein scheinbar mutiger Widerstand. 

Um es vornweg zu sagen. Auch ich sehe, dass wir Regelungen brauchen, um Migration machbar zu gestalten und notfalls zu begrenzen. Das aber läuft auf europäischer und nationaler Ebene bereits, wird also sehr wohl auch gesehen und auch betrieben. Der Landkreistag des Freistaates (Interessenvertreter der sächsischen Landkreise), dessen Mitglied ich als Landrat bin und dessen letzte Erklärungen mit Zielrichtung Begrenzung auch ich mit getragen habe, erklärte sich mehrfach in aller Deutlichkeit. Und ist gemeinsam mit dem Städte- und Gemeindetag (Interessenvertreter der Städte und Gemeinden) auch mit der Regierung des Freistaates in engem Diskurs über die Lage, die Fragen der Regelung und die Finanzierung der Aufgaben. Es ist also bei weitem nicht so, dass wir untätig oder gar erfolglos wären. Was im übrigen auch dazu geführt hat, dass bereits jetzt ein Großteil der im Beschluss enthaltenen Mehraufwendungen bereits durch den Bund und das Land übernommen wurden bzw. werden. Und wir davon ausgehen, dass auch der Rest abgedeckt sein wird. 

All das ist bekannt. All das war vor und in der Debatte im Kreistag bewusst. Auch wussten alle Beteiligten, dass wir als Kreistag nicht darüber befinden, ob wir weiter Geflüchtete aufnehmen, oder nicht. Sondern – platt gesprochen – lediglich darüber, ob wir abweichend vom genehmigten Haushalt mehr ausgeben dürfen. Eine rein haushaltsrechtliche Angelegenheit wurde hier also benutzt, um Populismus zu betreiben. Und den Menschen zu suggerieren, dass wir dies entscheiden könnten. Wenn wir denn nur wirklich wöllten. Die Versuchung war zu groß. Nicht einmal das Zusammenstimmen mit der AfD konnte dies aufhalten. Ein vielleicht historischer Moment des kollektiven Aussetzens geltender Vorsätze. Und beinahe wären auch notwendige Beschlüsse zur Aufstockung der Sozialbudgets gleich noch mit unter die Räder gekommen. Dies alles führte dazu, dass ich mein Unverständnis dazu erklärte. Nicht – wie von Rechts behauptet „ausfällig“, oder weil ich ein Problem mit Mehrheiten hätte. Nein. Viel mehr, weil hier eine Entscheidungsmöglichkeit suggeriert wurde, die dieses Gremium nicht hat. Weil hier wissentlich gegen etwas gestimmt wurde, was nicht in unserer Hoheit liegt. Und weil damit für mich ein Punkt erreicht ist, der nach Verantwortungslosigkeit riecht. Natürlich kann der Kreistag auch einen Haushaltsbeschluss verweigern. Aber dies macht keinen Sinn, wenn es sich um Pflichtaufgaben handelt. Maximal dann, wenn wir inhaltlich keine schlüssige Begründung oder Kalkulation oder sonst einen sachlichen oder rechtlichen Verstoß begangen hätten. Hier war es Kalkül. Und das macht es so schwierig.

Also Maulkorb und schweigen? Oh Nein. Keinesfalls. Eine Erklärung zum Beschluss wäre möglich gewesen. Als öffentliches Zeichen nach Berlin. Eine Erklärung der Fraktionen in aller Öffentlichkeit hätte selbiges bewirkt. Ohne Schaden anzurichten. Wahrscheinlich hätte ich mich dem sogar angeschlossen. Aber eben ohne diesen Schulterschlusses nach Rechts in namentlicher Abstimmung. Dass Letzteres offenbar kaum noch jemanden mehr wundert, ist Alarm genug. 

Zu hart im Urteil? Nein. Keineswegs. Denn das Parlament hat Schaden genommen. Wer Menschen da draussen durch haltlose Beschlüsse daran zweifeln lässt, dass der Kreistag wirklich etwas zu entscheiden hat, der trägt die Verantwortung dafür. Ob ihm diese Tragweite bewusst war, oder nicht. Für viele Menschen ist ein solch symbolischer Akt nicht unterscheidbar von realem Handeln. Und wenn – was die nach Lage der Dinge die wahrscheinliche Folge ist – dieser Beschluss rechtlich spätestens von der Landesdirektion „ersetzt“, also aufgehoben werden wird, spätestens dann werden jene, die diese Zusammenhänge von Pflichtaufgabe und Haushaltsrecht nicht kennen, den Kreistag für ein Scheinparlament halten. Und das dies ebenfalls nicht unwahrscheinlich ist, ist schon jetzt offensichtlich. Denn im Nachgang hieß es selbst von Journalisten, dass der Kreistag ja dann nur „pro Forma“- Beschlüsse tätigen würde, wenn diese am Ende dann keinen Bestand hätten. Weil es eben schwer ist zu differenzieren, was die Aufgabe des Kreistages ist und was nicht. Und was wirklich in unserer Hoheit liegt und was eben nicht. In anderen Gesprächen mit Bürgern war bereits von „Scheindemokratie“ die Rede. Eine Beschädigung des Parlamentes ist also offenbar. Und damit auch all jener, die für die Sache aufklärend unterwegs sind. Nicht mehr und nicht weniger. Am Ende beschädigt es die Glaubwürdigkeit und untergräbt damit das Fundament der Demokratie. 

Ich weiß, dass man dies gerade nicht hören will. Aber es ist gerade deshalb an der Zeit, solche Dinge auch gegen die vorherrschende Meinung zu vertreten. Sonst wird aus Demokratie ein Basar. Aus Recht und Regeln Zufall. Werte wie Menschlichkeit und Solidarität verschwimmen. Egoismus und Nationalismus gewinnen die Oberhand. Hauptsache wir. Nicht das erste Mal in der deutschen Geschichte, dass solche Tendenzen aus dem Ruder laufen. Schon deshalb muss dies angesprochen werden.

Es gibt immer Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen. Auch für einen Kreistag. Das ist das demokratische Recht. Und jede Äußerung kann hier getätigt werden. Das ist auch in unserem Kreistag so. Und dies gilt praktiziert für jede Abgeordnete und jeden Abgeordneten. Und ich habe immer dafür geworben, die AfD nicht pauschal auszugrenzen. Das bleibt weiterhin richtig, denn diese ohne Debatte in die Opferecke zu entlassen, in der sie – befeuert vom sonstigen Parteienstreit – leistungslos weiter wachsen können, ist aus meiner Sicht kein Weg. Doch „nicht ausgrenzen“ ist etwas ganz anderes, als zusammen namentlich abzustimmen. Letzteres ist ebenso vermeidbar, wie es gefährlich ist. Wir müssen damit aufhören, den Überschriften nachzulaufen um zu versuchen, Zustimmung zu gewinnen. Eigene Wege. Eigene Konzepte sind der Weg. Menschen wollen Lösungen, ein Idee für eine gute Zukunft. Und wir dürfen – gerade wegen der realen Probleme und Notwendigkeiten zur Veränderung von Zielen – nicht der Versuchung erliegen, Errungenschaften und Werte der freiheitlichen Grundordnung zu gefährden. Es wird Zeit für alle demokratischen Parteien, sich dieser Debatte zu stellen. Sollte dies nicht funktionieren. Sollte aus der Mitte heraus kein konstruktives, zukunftsfähiges Vorwärts zu gestalten sein, wird es neue Bündnisse geben müssen, die sich den Herausforderungen unserer Zeit stellen. Statt diese zu negieren. Ich für meinen Teil arbeite an solchen Ideen, teile diese sehr öffentlich und stelle alles zur Diskussion. In vielen Formaten, die wir dafür geschaffen haben. Ich möchte mich nach vorn orientieren. Jene unterstützen, die sich auf den Weg gemacht haben oder sich aufmachen wollen, unsere Probleme selbe in die Hand zu nehmen. Gemeinsam mit jenen Menschen, die auch bereit sind, Herausforderungen anzunehmen. In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob wir hier mehr daraus machen, oder nicht. Das denkwerkost ist ein erster Schritt. Weitere sind denkbar aber offen.