Gestern Abend war es. Da wurde ich schwach. Klima. 3 Tonnen Stahl mit nur einem Menschen drin. Nein. das ist nicht zeitgemäß. Außerdem weiß man ja auch nie, was einem so auf der Straße auflauert. Als Hindernis, meine ich. Zudem sollte es ja möglich sein, von Chemnitz mit der Bahn einigermaßen schnell nach Frankfurt/Main zu kommen. Gedacht, gemacht, wie es bei uns Im Gebirge heißt. Und ich könnte mir nun, ein paar Stunden (ver)späte(r)t die Finger abhacken, mit denen ich gestern Abend spontan dem Bahnnetz ein Ticket abtrotzte und damit entschied, dass nun auch für mich die Bahn kommen sollte.

Also, ich tippte in meine BahnApp meine Reisedaten ein und war erfreut. Eine Stunde von Chemnitz nach Leipzig. Dreieinhalb von Leipzig nach FFM. Super! Nunja. Die knapp 200 EUR hin und zurück erschienen zwar gefühlt als Erwerb eines Anteilscheines. Aber, die Zeiten haben sich eben geändert. Guter Service hat seinen Preis. Alles für die Umwelt… Was man sich so halt alles so sagt, wenn die Skepsis gerade wieder den Bestellfinger lähmen möchte. Schon die Buchung selbst, die bestimmt war aus einem merkwürdigen raus und rein von der App ins Netz und irgendwie auch wieder zurück, war ein digitales Erlebnis. Endete aber immerhin mit einem Apple-Wallet-tauglichen Ticket. Die Bahn im Neuland! Ich war begeistert. Wenn das jetzt alles noch hinhauen würde. Mit dem kommen uns so. Ich würde Bahnfan, kaufte mir eine BlackMamba, verhökerte meinen Diesel und kaufte mir als Bürositz einen ausgedienten Puffer.

Nun. Soweit wird es nicht kommen. Weiß ich jetzt. Und das hat weniger mit der Bahn, sondern eher mit dem regionalen Zubringer zu tun. Denn gerade sitze ich im Bordrestaurant eines ICE, rase bei einer Tasse Kaffee zugpünktlich dem Ziel entgegen. Leider aber nicht so entspannt, wie erhofft, denn ich fahre einen Zug später! Was ich irgendwie ahnte, als ich in Chemnitz am Bahnsteig stand und sich der Zug der Mitteldeutschen Regionalbahn – mein Zubringer zur echten Bahn – erkennbar in den Bahnhof quälte. Das zumindest war der Eindruck, den der zwar zeitgemäß lackierte, dennoch aber erkennbar angetagte und leicht verbeulte Haufen Blech auf mich machte. Ein heiteres Bremsenkreischen unterstrich den ersten Eindruck, für den es ja bekannter Maßen ja keine zweite Chance gibt. Es war die Sekunde, in der ich das erste Mal zweifelte. War ich doch im Januar in einem solchen Zug schon einmal nach Leipzig gefahren, um einen ICE nach Berlin zu erhaschen und bei diesem Versuch, angelehnt an die Außenwand einnickend, beinahe an derselben angefroren. Nun. Bei 11 Grad und Sonnenschein sollte sich das vielleicht nicht wiederholen. Also auf gehts. Jeder hat eine zweite Chance verdient.

Nein. Hat er nicht! Gar nicht. Nach gefühlten fünf Minuten Schleichfahrt auf geneigter Schiene, die so langsam vonstatten ging, dass man Angst haben musste, der Zug würde zeitnah aus den Eisen kippen, hielt das kreischende Gefährt an. Ganz langsam. Dann rollte es. Gaaaanz langsam. Dann rollte es weiter. Gaaaaanz langsam. Bis es dann rückwärts rollte. genau! Ganz laaaaangsaaaaaam. Das Personal, das zuvor streng militärisch die Tickets abgesegnet hatte („Sie haben den Ausweis bereitzuhalten!“) war natürlich nicht zu sehen. Der Zug indes stand wieder. Ruckelte ein wenig hin und her, als wüste er nicht so richtig, was er denn eigentlich zu tun hätte. Ein bisschen vor. Ein wenig zurück. Die BahnApp auf dem Telefon zeigte nun fünf Minuten Verspätung. Eine Durchsage wäre hilfreich, denke ich so, denn ich habe 20 Minuten Umsteigezeit ins der Messestadt. und wir wollen doch pünktlich sein. Doch eine Durchsage kommt nicht. Inzwischen weiß die App, dass wir erst nach meinem ICE-Start ankommen werden. Behauptet aber noch immer, dass der Anschluss bequem zu erreichen wäre. Es scheint der Versuch zu sein, den Fahrgast vor einem Infarkt zu bewahren. Ich rief den Betreiber an. Wozu gibt es Hotlines? „Ihr Anruf ist uns wichtig!“, schallte es mir entgegen. Ich antworte lautlos in Gedanken mit einem herzlichen: Ihr mich auch. Nach mehreren Minuten voller Endlosschelifenversicherung, dass ich der Mitteldeutschen Regionalbahn „wichtig“ bin und mich „der nächste freie Mitarbeiter“ in „durchschnittlich 45 Sekunden“ glücklich machen werde, bekam ich eine Stimme ans Ohr. Ob sie denn sagen könne, was los wäre, oder besser noch den Zugführer daran erinnern könne, dass er dies Vielleicht tun könnte. Schließlich führe er ja gerade nicht und hätte sicher Zeit dafür. Nein. Könne sie beides nicht, erwiderte sie freundlich. Aber sie würde sich das notieren. Was immer das bedeutet, dachte ich noch. Dann legte ich auf. Wozu nochmal gibt es Hotlines? Egal.

Auch die App weiß jetzt, dass der nächste Zug Geschichte ist. Wahrscheinlich hat das Telefon endlich mal wieder Netz, denke ich. Schön bei uns im Outback. Nun kann ich auch die Bahn digital befragen, wann der nächste Zug fährt. Gottseidank nur 30 Minuten nach dem eigentlich geplanten. Ich buche eine neue Platzkarte. Online. Und drehe beinahe durch vor Glück. Ich würde es noch schaffen. Natürlich nur, wenn der rollende Blechhaufen nicht wieder stehen bleibt. Denn nach mehreren beherzten Metern rückwärts hat die Kiste tatsächlich wieder Fahrt (vorwärts) aufgenommen. Endlich meldet sich ein kratziger Lautsprechermann: „Wegen witterungsbedingter Glattschienen konnte der Zug leider nicht wie erhofft pünktlich fahren.“ Zu deutsch: Es lagen im Morgentau ein paar Blätter auf der Schiene. Mir fällt der alte DDR-Spruch ein, der die vier Jahreszeiten als Erzfeinde der Bahn geißeltE. Es war nicht alles schlecht, denke ich.